Aus dem Arbeitsrecht

Gibt es ein Recht auf absolute Unerreichbarkeit des Arbeitnehmers?

Mit dieser spannenden Frage hat sich das BAG in einem aktuellen Urteil auseinandergesetzt. Kurzum: Es geht darum, ob ein Mitarbeitender eine dienstliche SMS in seiner Freizeit zur Kenntnis nehmen muss. Vorab schon einmal so viel: Das Urteil geht zu Gunsten der Arbeitgeberin aus.

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Wie ist der Sachverhalt?

Der Kläger (Arbeitnehmer) ist als Notfallsanitäter bei der Beklagten (Arbeitgeberin) tätig, die in Schleswig-Holstein den Rettungsdienst durchführt. Im Betrieb der Beklagten existiert eine Betriebsvereinbarung mit Regelungen zu verschiedenen Aspekten der Arbeitszeitplanung. Hierin ist u.a. geregelt, dass für einzelne Arbeitnehmer kurzfristig angeordnete Sonderschichten („Springerdienste“) bis um 20:00 Uhr des Vortags in Bezug auf die zeitliche Lage des Dienstes „weiter konkretisiert werden“ können. Den Dienstplan können die Arbeitnehmer im Internet über einen „SelfService“ einsehen. 

Den Arbeitsbeginn (um jeweils 06:00 Uhr) teilte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer erst am Vortag mit, d.h. während seines arbeitsfreien Tages. Er war jedoch weder telefonisch erreichbar noch nahm er die SMS der Arbeitgeberin zur Kenntnis. Dies hatte zur Folge, dass er nicht frühzeitig genug zu zwei Springerdiensten erschien.

Dies nahm die Arbeitgeberin zum Anlass, den Arbeitnehmer abzumahnen. Zugleich zog sie die Arbeitsstunden dieser Schichten von seinem Arbeitskonto ab.

Hiergegen setzte sich der Arbeitnehmer gerichtlich zur Wehr. Er verlangte die Gutschrift der nicht geleisteten Arbeitsstunden in seinem Arbeitszeitkonto sowie die Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte. Er vertrat die Rechtsauffassung, dass er weder verpflichtet gewesen sei während seiner Freizeit zu überprüfen, ob sich der Dienstplan nach Dienstschluss geändert habe, noch habe er in seiner Freizeit Weisungen der Arbeitgeberin hinsichtlich der Arbeitszeit entgegennehmen müssen.

Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?

Das BAG hob die Entscheidung des LAG auf und wies die Klage des Arbeitnehmers ab. Das BAG kam zu folgendem Schluss:

Arbeitgeber dürfen Arbeitnehmern den Arbeitsbeginn am nächsten Arbeitstag auch während der Freizeit per SMS mitteilen. Die Kenntnisnahme solcher Weisungen ist zumutbar und stellt keine Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne dar. Denn die Entgegennahme einer solchen Weisung stellt noch keine Arbeitsleistung dar. Dies begründete das BAG damit, dass die Kenntnisnahme der Anweisungen „eine mit der Arbeitspflicht in unmittelbarem Zusammenhang stehende Nebenleistungspflicht“ darstelle. Die Pflicht zur Kenntnisnahme am Vortag folgte vorliegend aus den Regelungen der Betriebsvereinbarung, so das BAG.  Dieser Pflicht hatte der Kläger demnach auch außerhalb seiner eigentlichen Dienstzeit nachzukommen.

Was bedeutet dies für die Praxis?

Aus Arbeitgebersicht ist die Entscheidung zu begrüßen, da sie Unternehmen eine flexible Organisation der Arbeitszeit ermöglicht. Zudem stärkt das Urteil die Gestaltungsfreiheit bei Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Arbeitszeit. Wenngleich das Urteil zwar keine ununterbrochene Erreichbarkeit für den Arbeitgeber während der Freizeit zur Folge haben wird, dürfen sich Arbeitnehmer zukünftig nicht mehr darauf verlassen, dass sie innerhalb der Freizeit keinerlei Nachrichten bzw. Weisungen des Arbeitgebers lesen und befolgen müssen. In welchem Umfang dies verlangt werden kann, dürfte vom Einzelfall abhängen. Die bloße Mitteilung des Arbeitgebers, zu welcher Uhrzeit der Arbeitnehmer am nächsten Arbeitstag seine Arbeit aufnehmen muss, dürfte jedoch hiervon umfasst sein.

 

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