Ein Fall aus der Praxis

Aus dem Arbeitsrecht: Wann haften Arbeitgeber für Arbeitsunfälle?

Ist ein Arbeitgeber haftbar, wenn er seine Arbeitnehmenden nicht ausreichend geschult hat und es dadurch zu einem Unfall kommt? Die Antwort darauf können Sie in unserem Podcast hören oder im folgenden Artikel lesen. 

Foto: vichie81/stock.adobe.com

„RECHT deutlich – Arbeitsrecht in Kürze“

Thema der 2. Folge: HAFTUNG BEI UNFÄLLEN

Von Lena Brendel

Unfälle im Arbeitsleben lassen sich leider nicht immer verhindern. So auch in einem kürzlich von mir bearbeiteten Fall. Nachdem ein Arbeitnehmer bei der Zusammenarbeit mit einem Kollegen schwer verletzt wurde, hat er den Arbeitgeber auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagt. Er stütze sich darauf, dass sein Kollege, der Unfallverursacher, nicht ausreichend geschult gewesen sei. Deshalb stellt sich die Frage: Müssen Arbeitgeber bei Arbeitsunfällen generell haften? 

Die Antwort lautet: Nein, denn bei einem Arbeitsunfall greift in der Regel das sogenannte Haftungsprivileg des Arbeitgebers. 

Unternehmer sind zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt haben. Dafür ist laut Bundesarbeitsgericht ein „doppelter Vorsatz“ erforderlich: Der Vorsatz des Schädigers muss nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen.

Im vorliegenden Fall hat das Arbeitsgericht entschieden, dass ein derartiger doppelter Vorsatz nicht erkennbar ist – aus folgenden Gründen: Allein Verstöße gegen Verkehrssicherungspflichten oder Unfallverhütungsvorschriften (wie bspw. eine unterlassene Sicherheitsschulung) lassen hinsichtlich eines Verletzungserfolgs keinen Vorsatz erkennen. Selbst derjenige, der vorsätzlich eine Schutzvorschrift missachtet, will in der Regel keinen Arbeitsunfall verursachen oder jemanden schaden, sondern hofft, dass kein Unfall passiert. Mit anderen Worten: Ein Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften bedeutet noch lange nicht, dass damit auch Verletzungen des Arbeitnehmers billigend in Kauf genommen werden.

Für den Arbeitgeber galt daher das Haftungsprivileg. Die Klage wurde abgewiesen.

Hintergrund des Haftungsprivilegs zugunsten des Arbeitgebers gegenüber dem Schadensersatzverlangen eines Arbeitnehmers ist übrigens folgender: Bei einem Arbeitsunfall greift die gesetzliche Unfallversicherung, in die Unternehmer einzahlen und dafür im Regelfall von der Haftung befreit sind – außer sie führen den Versicherungsfall vorsätzlich herbei. Die gesetzliche Regelung dient zum einen dem Schutz des Geschädigten, weil er weder ein Verschulden des Schädigers nachweisen noch sich ein eigenes Mitverschulden auf seine Ansprüche anrechnen lassen muss. Diese werden, ohne Verzögerung durch langwierige und mit einem Prozessrisiko behaftete Auseinandersetzungen mit dem Schädiger, von Amts wegen festgestellt. Zum anderen dient die gesetzliche Regelung auch der Enthaftung des Unternehmers, der durch seine Beiträge die gesetzliche Unfallversicherung mitträgt und für den dadurch auch das Unfallrisiko kalkulierbar wird. Nicht zuletzt werden auch Betriebsangehörige enthaftet und es wird dem Betriebsfrieden gedient.  

Das Urteil des Arbeitsgerichts wollte der Arbeitnehmer allerdings so nicht hinnehmen und hat Berufung eingelegt. Es bleibt abzuwarten, wie das Landesarbeitsgericht den Fall bewertet. Ich werde gern über den Fortgang berichten.


Lena Brendel


ist seit zwei Jahren Teil der ChemieNord-Rechtsabteilung. Sie berät unsere Mitgliedsunternehmen vom Standort Hamburg aus in allen Fragen des Arbeits- und Sozialrechts.

 

Drei Fragen an Lena Brendel:

• Was war bislang dein skurrilster Arbeitsrecht-Fall?
Während der Corona-Zeit erlaubte ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitenden jeweils einen Kanister Desinfektionsmittel für den privaten Gebrauch mit nach Hause zu nehmen. Einer der Arbeitnehmer nahm es mit den Mengenangaben nicht so genau. Den entscheidenden Hinweis erhielt der Arbeitgeber von dem Bürgermeister aus dem Ort des Mitarbeiters:

In seinem Garten stapelten sich die Kanister palettenweise.
 

• Was machst du in deiner Freizeit am liebsten?
In meiner Freizeit bin ich gern bei Wind und Wetter mit meinem Rauhaardackel-Mischling Gustav in der Natur unterwegs.
 

• Wieso hast du dich beruflich für Jura und insbesondere für das Arbeitsrecht entschieden? 
Meinen ersten Berührungspunkt hatte ich während meiner Grundschulzeit, als wir einen Ausflug in das Oberlandesgericht machten. Die dortige Gerichtsatmosphäre hat mich damals beeindruckt. Über die Jahre blieb mein Interesse für die Juristerei bestehen, sodass ich mich für das Jura-Studium entschloss.  

Am Arbeitsrecht gefällt mir, dass es besonders vielseitig ist. Ob konkrete Individual- oder Kollektivinteressen, unternehmerische Herausforderungen oder gar persönliche Schicksale, die hinter den Fallgestaltungen stecken, es wird nie eintönig.

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